2003-09-21
'Before you judge someone, walk a mile in his shoes. Then, when you do judge him, you'll be a mile away and you'll have an extra pair of shoes.' - Meine Geschichte beginnt mit der freundlichen Ferialpraktikantin am Brussels CheckIn Schalter. Freundlich ist sie, das mag sein, aber ich blicke durch diese Fassade einstudierter Fröhlichkeit und kann deutlich das blanke Unwissen erkennen, dass sie professionell zu überspielen versucht. Der von ihr zu Hilfe gerufene Supervisor gibt aber sein ok, somit akzeptiere ich das 'Jaa, ihr Gepäck fliegt von allein nach East Midlands!'. Dennoch, das flaue Gefühl im Magen macht sich deutlicher als zuvor bemerkbar. Aber statt mir über meinen Transport sorgen zu machen freue ich mich lieber über das Erscheinen von Majus, Elli, Dominik und Petja und besteige nach einem rührenden Abschied endlich den Avroliner, das coolste Flugzeug der Geschichte der bemannten Fliegerei. Der Avroliner vermittelt wie kein anderes Luftfahrzeug das Gefühl des Fliegens direkt und ungeschminkt an den Passagier. Man weiss, man ist in guten Händen wenn der Kapitän mutig und draufgängerisch aber doch graziös die Maschine von Böe zu Böe schwingt, um an Geschwindigkeit zu gewinnen. Dann die Landung in Brüssel und dann die Geschichte mit dem Umsteigen zum East-Midlands Flieger. Eine Geschichte voller Missverständnisse. Man muss wissen: BMI Baby ist eine Charter Airline. Die warten nicht auf Leute die zu spät kommen. Wenn man dann in 35 Minuten von einem Flieger zum nächsten hetzen muss, ist das sehr mühsam. Wenn man sich dabei auf einem überdimensional großen, mehrstöckigen Flughafen befindet, ist das noch mühsamer. Wenn man sich bei dem ganzen Zeitdruck noch verläuft, stellt sich langsam ein Gefühl der Panik ein. Wenn man dann allerdings noch dazu an einer relativ starken Verkühlung leidet verschwindet das Gefühl der Panik wieder und wird ersetzt durch ziemlich starke Kopfschmerzen und eine am Boden hinterhergezogene Schweissspur. In einem fast apathischen Zustand erreiche ich den Check-In Schalter von BMI Baby. Es ist mir egal dass der Agent sagt, ich sei gerade noch rechtzeitig gekommen, sie wollten den flug gerade closen. Ein wenig überrascht bin ich allerdings ob seiner Belehrung: 'It is always risky to book connecting flights with BMI'. Aber das Überraschungsgefühl schwindet wieder als er mir mitteilt, dass er nicht daran glaubt dass mein Gepäck tatsächlich nach East-Midlands fliegt. Mit dem zurückgekehrten Gefühl der Apathie und Resignation mache ich mich in meinem Fieber-Delirium auf den Weg zum Gate. Es wundert mich nicht, dass der Metalldetektor auf meinen Zeitdruck anspricht. Nachdem ich nach einigen Minuten die Sicherheitscrew davon überzeugt habe, dass ich wirklich nichts metallisches dabei habe, darf ich dann doch weitergehen, und komm sogar pünktlich zum Gate. Der Flug selbst ist kurz. Eine Boeing 737-500. Pah! Nichts im Vergleich zu einem Avroliner. Man merkt kaum dass man fliegt, schon gar nicht mit meinem Gang-Sitz neben zwei professionellen ZZTop Imitatoren. Soweit so gut. Bis zu der Landung in East-Midlands war die Reise genau durchgeplant. Danach wollte ich improvisieren, so schwer kann es doch nicht sein den Bus zu finden der am Sonntag stolze vier mal nach Derby fährt. Dass Gefühl der Erleichterung, dass sich einstellt hat nachdem ich überraschenderweise meinen Koffer auf dem Laufband sehe, geht wieder in dieses mittlerweile gut bekannte, fiebrige Gefühl der Gleichgültigkeit über, als ich die Flughafenhalle verlassend einen Bus erblicke, auf dem groß und deutlich der Schriftzug 'Derby' zu lesen ist, der sich gerade auf den Weg zur Autobahn macht. Nun gut, so viel dazu. Ich entschliesse mich ein 'Checker-Car' nach Derby zu nehmen, offenbar ein Taxi-Unternehmen. Leider muss ich feststellen, dass bei Checker-Cars gar kein Checker arbeitet, sondern ein Verlierer. Bei den Checker-Cars is das nämlich nicht so dass man an einem Taxi-Stand zum Fahrer ins Auto steigt und sagt: 'Hey Jimmy, ich will da und da hin!' sondern man geht in so ein Hütterl und redet mit einem Typen der einem dann einen Fahrer zuteilt, nachdem er die Route in seinen Computer eingegeben hat und der den zu verrechnenden Preis ausspuckt. Im Taxi selber is nicht einmal ein Taxameter. Verrückt. Nach ungefähr 10 Minuten hat er dann gefunden wo ich hinwill. Ich steige in das Taxi ein und der Fahrer erklärt mir dass der Aschenbecher broke is bzw. ''kaputt', as we say in german'. Nun gut. Ich staune und verspreche es mir zu merken. Nach ungefähr 10 Minuten intensivem Wortwechsel scheint er zu verstehen dass ich krank bin und genervt und nicht an Smalltalk interessiert bin. Daraufhin verhält er sich die Rest der Fahrt über ziemlich ruhig. Ich bin ihm dankbar. Dann endlich stehe ich vor meinem neuen Domizil. 57 Sherwin Street. Ein nettes kleines Reihenhaus 'just round the corner' von der University, wie mir versichert wurde. Naja. Mangels einer Glocke klopfe ich an. Die restlichen Ereignisse des Tages im Hinterkopf bin ich auf alles gefasst und ja, eigentlich fast enttäuscht, als der Viktor aufmacht. Ich war davon überzeugt man hätte mir auch noch eine falsche Adresse gegeben. Ich trete ein. Ja, in der Tat, es ist ein Haus. Ein kleines Haus, aber immerhin ein Haus. In good ol' Austria könnte man für das eine Zimmer, die gemeinsame Dusche, Küche und Wohnzimmer monatlich 150€ verlangen. Immerhin zahle ich 53 GBP pounds per Woche, also 230 GBP pro Monat, also ungefähr 330€. Allerdings inklusive Betriebskosten. Nach einem stärkenden Foster's und dann einem erfrischenden Foster's werfe ich ein Aspirin ein und harre der Dinge die da kommen mögen. Ich stelle mich dem Briten vor, der wenige Stunden vor mir eingezogen ist. Stewart heisst er. Ein tolles, ungezwungenes Gespräch. Aber er sieht das nicht so eng mit Kontakt und hält sich eigentlich eh die ganze Zeit konsequent in seinem Zimmer versteckt. Ausserdem mag er weder Bier noch Eier. Ich schreibe SMS nach Hause, dann wird gekocht, mittlerweile ist es 2000. Dann beginnt das große rumgesitze, dass ich wohl noch öfter erleben werde, und dann wird eigentlich eh schon schlafen gegangen. Nur der britische Freund Stewart harrt in seinem Kammerl konsequent bis Mitternacht aus und hört Gangsta-hiphop.