Im Zeichen des Boss

Dies ist die Geschichte eines Renault Grand Scénic, der mit seiner drei Mann und zwei Frau starken Besatzung 3 Tage lang unterwegs ist, um fremde Länder zu erforschen, Bruce Springsteen Konzerte zu besuchen und dabei abzurocken, wie nie ein Mensch zuvor abgerockt hat.

Seit Ende August beschäftigte mich intensiv die Organisation jenes legendären Wochenendes, welches vor wenigen Tagen stattfinden sollte. Bruce persönlich sollte sich nach Mannheim begeben, um dort abzurocken was das Zeug hält. Der Plan klang so souverän:

  1. Samstag: Anreise
  2. Sonntag: Abrocken
  3. Montag: Abreise

Doch Freitag gegen Mittag wird völlig überraschend Alarmstufe Rot ausgelöst. Bruce Springsteen sei erkrankt, heisst es in diversen Internet-Foren. Das freitägliche Konzert in Arnheim würde abgesagt, wird gemunkelt. Und tatsächlich, bald folgt Bestätigung auf der offiziellen Homepage:

Tonight’s concert of Bruce Springsteen & The E Street band in the Gelredome in Arnhem will be postponed till tomorrow, Saturday, December1st. Bruce Springsteen won’t be able to perform tonight, due to a severe cold. He states he is very sorry to have to postpone tonight, but does want to give the fans the show they deserve. And at this point, he feels he won’t be able to do so.

However, he is convinced his health will be recovered sufficiently tomorrow night, to perform 100% up to standards.

Oh nein, was tun? Dieses Zittern! Diese Hilflosigkeit! Würde das Konzert wohl stattfinden? Sollten wir umsonst tausende und abertausende Kilometer zurücklegen? Sollten alle Mühen umsonst gewesen sein?

Samstag vormittag gibt es noch keine neuen Meldungen bezüglich des Gesundheitszustands des Boss, mangels einer besseren Idee treten wir also unsere Abenteuerreise guter Dinge an.

Mannheim-Aussenteam Team-Mitglied

Nach intensivem Abrocken im Auto und bereits weit hinter der neutralen Zone, tief in deutsche Gefilde eingedrungen, beschliessen wir, etwas Nahrung zu uns nehmen und die Benzinvorräte aufzustocken. Am Autohof Frankenhöhe erleben wir zwei Überraschungen: deutsche Tankstellen an Autobahnraststätten akzeptieren keine Maestro-Karten. Skandal! Und außerdem bieten sie keine Nahrung im herkömmlichen Sinn an, wie man es von österreichsichen Raststätten gewohnt ist, besitzen im Ausgleich dafür aber einen Burger-King. Mhmm…. Burger King! Verglichen mit guten, alten Landzeit oder Rosenberger Raststätten in Österreich wirken die deutschen Autohöfe alles in allem aber sehr lieb- und einfallslos.

Gestärkt von einem köstlichen Crispy Chicken mit Käse vergeht die restliche Strecke nach Mannheim wie im Flug. Inzwischen ist es bereits dunkel, trist starren wir auf die graue Autobahn. Doch plötzlich, wenige Minuten vor Mannheim, da erstrahlt ein blaues leuchten den nächtlichen Horizont neben der Autobahn. Kurz überlege ich… dieses Blau… ein seltsames blau… irgendwie verhasst, und doch so bekannt… ist das vielleicht Azur-blau?… nein… Himmel-Blau?… auch nicht… U WEH!.. SAP-Blau! Die verhasste Farbe der verhassten Firma SAP! Hell erleuchtet strahlt uns die SAP-Arena entgegen, weist uns sozusagen den Weg nach Mannheim, den glorreichen Weg zu Rock und Roll!

Die Ankunft im Hotel, welches sich durchaus appetitlich präsentiert, verläuft ohne nennenswerte Höhepunkte. Einzig allein sie die innovative Idee von separaten Parkplätzen für Smart-Fahrer und Fahrerinnen erwähnt. Hier in Bild und ohne Ton festgehalten, ebenso wie ein fetter SUV, dessen Fahrer dieser Idee wohl nicht so viel abgewinnen konnte wie wir.

Smart Parker Schild Smart Parker Fetter SUV auf Smart Parkplatz

Überhaupt sind die Mannheimer beim Thema Parken sehr kreativ. Gehen die Parkplätz auf der Straße mal aus, werden einfach die mindestens 3 Meter breiten Gehsteige als Abstellplatz in zweiter Spur benutzt. Sehr platzsparend. Das nur so als kleine Beobachtung am Rande.

Weils so ein schöner Abend ist beschließt die Mannschaft, sich auf den Weihnachtsmarkt beim Wasserturm zu begeben, um die hierzulande üblichen, besinnlichen Gebräuche zu erforschen. Der Weihnachtsmarkt selbst entspricht – in Wiener Masstäben gemessen – am ehesten dem Christkindlmarkt am Rathausplatz. Nicht im Bezug auf die Größe, sondern was verkommerzialisierung und Antibesinnlichkeit betrifft. Dicht steht dort Fahrgeschäft an Fahrgeschäft gereiht, man kann Waschmittel, Schusswaffen und Landminen erwerben. So habe ich es zumindest in Erinnerung. Abgesehen vom grössten Manko – der nicht vorhandenen Punschkultur unserer Nachbarn – verfügt jener Weihnachtsmarkt nämlich über einen ausgezeichneten Engelstrunk. Obgleich ich nur eine deutlich einstellige Zahl solcher Getränke konsumiere, scheint mir der Mannheimer Fussboden doch wesentlich wackeliger als zuvor. Vielleicht liegt das aber auch an dem alkoholfreien Kinderpunsch? Mit solch unverschämten Mitteln wird die nächste Generation an Komsäufern und Komsäuferinnen herangezogen! Skandal! Naja, egal. Alles in Allem ein sehr netter Weihnachtsmarkt. Übrigens, die Idee, statt Pfand einen Schnaps retour zu bekommen finde ich wunderbar.

“Alkoholfreier” Punsch Geld oder Leber! Wasserturm Zwergenrad

Gegen 2130 beschließen wir, das bunte Treiben um den Wasserturm zu verlassen, und uns weiter in die Innenstadt zu wagen. Doch weit sollten wir nicht kommen – es stell sich alsbald heraus, dass manche Mannheimer Bekleidungsgeschäfte bis 2200 offen halten, weshalb die zwei Frauen im Außenteam plötzlich in eines der selbigen hineinverschwinden und just nicht mehr herauskommen wollen. Wir, die übriggebliebene Männer, vertreiben uns die Zeit eine Weile mit dem Gröhlen von I am from Austria, als uns das zu langweilig wird kundschaften wir ein Lokal in der Nähe aus. Nach einiger Zeit stossen dann die Damen zu uns, selbstverständlich mit einer neu erstandenen Jacke im Gepäck. So vertreiben wir uns die Zeit, sehr nett ist es dort. Gegen Mitternacht geht es dann zurück ins Hotel.

Und dort sollte sich dann zutragen, was ich nie für möglich gehalten hätte. Es mag vielleicht an den zuvor konsumierten Engelstrünken liegen, doch die durch Zufall angezappte Fernsehsendung Sport ist Mord! entpuppt sich als das Lustigste Fernsehprogramm der Welt, aller Zeiten! Selten so gelacht! Naja… zurück zum wesentlichen.

Am nächsten morgen dann ein zünftiges Mittagessen in einer netten Pizzeria. Bei der Gelegenheit wird gleich ein Kabel nach Österreich organisiert und erfragt, ob es denn schon Neuigkeiten über den Gesundheitszustand des Bosses gibt. Gestern hat er gespielt, werden wir beruhigt. Ausgezeichnet!

Während sich die Frauen wieder einmal von der Truppe abspalten, um – wer hätte damit gerechnet – shoppen zu gehen, beschließen die Männer, spontan die SAP-Arena näher unter die Lupe zu nehmen.

SAP-Arena SAP-Arena

Folgende Erkenntnisse werden gewonnen:

  • Es ist kalt
  • Es regnet

Brrr…. zurück ins Hotel. Ein letztes mal Ausruhen vor den Strapazen des Abends. Mhmmm…. schlafen. Gegen 1700 wird es dann aber ernst. Bis zum Äußersten enthusiasmiert brechen wir zur SAP-Arena auf. Als wir dort ankommen haben die Schlangen vor den Eingängen schon beachtliche Ausmaße angenommen. Naja, es bleibt uns nix daspart – angestellt!

Nett finde ich den jungen Mann vom Ordnerdienst, der lediglich mit einem Megaphon bewaffnet die wartende Menge darüber aufklärt, was denn in die Arena mit hineingenommen werden darf (fast nichts) und was nicht (Essen, Getränke, Kameras, Schlagstöcke, Schusswaffen, etc…). Humoristischer Höhepunkt: Vom ersten Stock gibt es insgesamt 4 Eingänge in den Innenraum, bitte verteilt euch auf diese, damit dann nicht alle wie verrückt auf den ersten Eingang zurennen!….. Ähhmmm…. gerannt wird natürlich überhaupt nicht!

Nach einem sehr stümperhaft organisierten Einlass an Eingang B (hysterische Ordnerinnen, zerquetschte Menschen, vom Wind weggerissen Tickets, vergessene Absperrungen in der Menge, etc…) und – wie man im Nachhinein in diversen Foren so liest – sehr geordneten Einlässen an allen anderen Eingängen befinden wir uns dann endlich in Innenraum.

Es folgt das Lange warten auf den Boss.

Lobend muss man hierbei die an den Getränkeständen ausgegebenen Viererträger für Bier und ähnliches. Sowas habe ich in Wien und Umgebung schon bei etlichen Konzerten gemisst. Großes Lob dafür!

Weiter warten auf den Boss.

Und dann, nach nur knapp 90 regulären und 35 akademischen Minuten des Wartens geht auch tatsächlich das Licht aus. Is there anybody alive out there?, ertönt laut fragend eine äußerst bekannte Stimme. Ja!, schreie ich zurück, Ich bin hier, Bruce! Ich bin bereit zu rocken!

Der Boss

Und dann geht es auch schon los:

  1. Radio Nowhere: Grandioser Opener, macht Lust auf mehr.
  2. No Surrender: Hervorragend.
  3. Lonesome Day: Nicht unbedingt mein Favorit, aber macht gute Stimmung.
  4. Gypsy Biker
  5. Magic: Sehr stimmungsvoll, mit politkritischer Kurzansprache davor. Schön mitgedüdelt von Soozie.
  6. Reason To Believe: Grandios. So wird mit Mundharmonika abgerockt.
  7. Jackson Cage: Unerwartet, nicht unbedingt mein Favorit.
  8. She’s The One: Erwartet, nicht unbedingt mein Favorit.
  9. Livin’ In The Future
  10. The Promised Land: Grandios, und äußerst erfreulich. Ein giga Lied.
  11. Working On The Highway
  12. Tunnel Of Love
  13. Darkness On The Edge Of Town
  14. Devil’s Arcade
  15. The Rising: Wunderbar, sehr publikumsanimierend.
  16. Last To Die
  17. Long Walk Home
  18. Badlands
  19. Girls In Their Summer Clothes: Ein Lied für die deutschen Mädchen, sagt Bruce, und zwei in New Jersey! Vermutlich eine Anspielung auf Pattie, das fünfte Rad am Wagen der E-Street Band, die nicht dabei war. Soozie sang aber mindestens ebenso gut.
  20. Santa Claus Is Coming To Town: Wie bereits am Abend zuvor gespielt, sehr stimmungsvoll.
  21. Born To Run: Grandios! Einfach nur grandios.
  22. Dancing In The Dark
  23. American Land: Netter Abschluss, obwohl man sich als Europäer natürlich lieber einen grossen Hit zum Schluss gewünscht hätte.

Nach etwas über zwei Stunden geht er von der Bühne. Etwas kurz, im Vergleich zu früher, in der guten alten Zeit. Aber man wird halt nicht jünger.

Die Heimreise dann im strömenden Regen und einem öffentlichen Verkehrsbetrieb ohne Masterplan. Eigentlich hätte man erwartet, dass nach dem Konzert – wie bei Veranstaltungen in anderen Großstädten gewohnt – Straßenbahn um Straßenbahn aufgefädelt bereit steht, um die abertausenden, müden Rocker und Rockerinnen ins Bett zu bringen. Aber nichts da. Nur 30 Minuten im Regen, ohne jegliche Information und Hoffnung auf Überleben. Letztendlich kommt dann eine Straßenbahn dahergetuckert, allerdings von der falschen Seite, sodass mehrere Hundert müde Rocker und Rockerinnen über die Gleise stürmen um sich einen Platz zu sichern. Die Straßenbahn schlägt dann eine Schleife ein, und hält noch ein zweites mal vor der Arena, wo sich dann wieder hunderte von müden Rockern und Rockerinnen hineinquetschen. Der Fahrer verkündet, dass jetzt länger keine Straßenbahn kommt, deswegen sollen sich alle in diese hier quetschen. Sehr schön. Naja, wenigstens kommen wir auf diese Weise nach Hause.

Tja… in Anbetracht der bereits respektierlichen Länge dieses Eintrags fasse ich mich jetzt kurz: Am Montag Heimreise.

Die Statistikdaten vom Bord-Computer zu diesem Trip:

Gefahrene Strecke 1506,8 km
Durchschnittsgeschwindigkeit 102,2 km/h
Dieselverbrauch 104,8 l
Durchschnittsverbrauch auf 100km 6,88 l (Diesel pro Fahrzeug und Bier pro Person)

Hätt ma das auch.

5 Responses to “Im Zeichen des Boss”

  1. mel Says:

    Sehr, sehr feiner Eintrag, dankeschoen!

    Was mir jetzt aber doch sehr fehlt ist eine Beschreibung des (mir zuvor unbekannten) “Gypsy Biker”. Unglaublich war die Ekstase, die orgasmische Vereinigung von Bruce und seinem guten, treuen Gnomen-Freund Steven Van Zandt, als sie ihre Gitarren gemeinsam zu einem grandiosen Solo wuergten.

    “Sie her, Stevie”, sagte Bruce, “was ich da gerade spiele!” - “Das ist doch nichts, Bruce”, antwortete sein ergebener Mitstreiter, “lausche wie ich dich uebertrumpfe!” So ging es hin und her bis die 2 grossen Herren des Rocks dann irgendwann feststellten, dass sie beide bereits an der Spitze des Solo-Olymps standen und so durch eine stille Uebereinkunft beschlossen, dieses Meisterwerk doch in einen gemeinsamen, Traenen-in-die-Augen-treibenden Hoehepunkt gipfeln zu lassen.

    “Wahrlich, das ist Rock’n'Roll”, sagte ich leise.

  2. Grg Says:

    wunderbar weil sehr lustig und auch interessant dieser Beitrag! … danke. weiter so.

  3. gez Says:

    Hehe… Gnomen-Freund…

    Immer wenn ich Stevie mit seinem bunten Kopftüchelchen sehe, muss ich unweigerlich summen: “Sind wir nicht alle Piraten?…”

  4. Marius Says:

    super dieser blog-eintrag - wie immer lustig geschrieben! auch die Ergänzung von mel natürlich. da führe ich mir in ermangelung des live-originals doch gleich einmal ein paar mp3s zu gemüte.

  5. marius Says:

    gerade noch einmal gelesen, köstlich hehe.