Insekten

Vor kurzem hatte ich das zweifelhafte Vergnügen im Rahmen einer anthropologischen Studie einem Fillipino Service des Vienna Christian Center beizuwohnen, ihres Zeichens lokale Zweigstelle der Pfingstbewegung in Wien. Meinem ersten Kontakt mit einer Sekte entgegenblickend war ich auf einiges gefaßt und hoffte insgeheim auf allgemeines ekstatisches Boden-Wuzeln im großen Stil sowie spontane Heilungen von krebskranken und querschnittgelähmten Bedürftigen. Doch gleich vorweg - diese Wünsche sollte mir versagt bleiben.

Bereits an der Schnellbahnstation Rennweg lässt sich deutlich ein Strom an Familien mit phillipinischen Gesichtszügen erkennen, der gut gelaunt Richtung Straßenbahn 71 trabt. Wir gesellen uns dazu und wenige Minuten später, am Rennbahnweg 74 angekommen, werden wir sogleich von freundlich grinsenden Damen empfangen, deren Namensschilder sie als offizielle Greeter deklarieren, und die uns lächelnd und händeschüttelnd in den großen Saal hineinzerren, in welchem der Service wohl stattfinden wird. Wir lauschen entzückt den Klängen des Soundchecks der offiziellen Pfingstkirchenband, während für uns Translators organisiert werden.

Als wir uns - um nicht allzusehr aufzufallen - von der dritten Reihe, in die uns eine übereifrige Greeterin befohlen hat, in die hinteren Reihen zurückziehen, werden wir auch von einem Sektierer in Hosen begrüßt. Auf den ersten Blick für den einzigen männlichen Greeter gehalten, entpuppt er sich nach genauerem Hinsehen als God’s Watchman, offenbar der direkte Kommandant des Heers an Greeterinnen.

Der Saal ist mittlerweile prall gefüllt, und dann beginnt er auch schon - der Service, der mit einem flotten Gospel-Popsong eingepeitscht wird. Die Menge gibt sich zunächst zurückhaltend, nur wenige folgenden dem Aufruf der Sängerin in der Liebe des Herrn zu walken, die meisten klatschen an ihren Plätzen stehend fröhlich vor sich hin. Danach sollen wir im Saal herumgehen und einander noch einmal alle begrüßen. Sehr freundlich sind diese Pfingstkirchenanhänger, die letzten 15 Minuten habe ich mehr Hände geschüttelt als im gesamten vergangenen Kalenderjahr.

Jetzt wird die Bühne freigemacht für den offiziellen Hauptakteur dieses Nachmittags, den Prediger, der sogleich eine mehrminütige Predigt auf die Gemeinde loslässt, sich dabei in einen euphorischen Wortschwall hineinsteigert und einen fast ekstatischen Höhepunkt erreicht. Leider können wir nicht annähernd alles verstehen was er von uns verlangt, die Simultanübersetzung ist immer wieder von gröberen Aussetzern gezeichnet, wir hören nur: “… die Starken unter… uns müssen… das hab ich jetzt nicht verstanden… die Schwachen stützen… das auch nicht…” Stark schmunzeln müssen wir am Ende der Predigt, denn der Übersetzung der Schlußworte durch die junge Dolmetscherin ist ein leicht sarkastischer Unterton nicht abzustreiten: Gott ist toll! Unser Gott ist ja sooo toll!

Dann sollen diejenigen die Hände heben, die zum ersten oder auch erst zum zweiten Mal an einer Messe der Pfingstkirche teilnehmen. Böses ahnend vergraben wir uns tief in unseren Sitzen und stellen uns bewußtlos, um kein Aufsehen zu erregen. An alle anderen, die aufgezeigt haben, werden Kuverts verteilt. In ihnen befinden sich Fragebögen, erklärt der Prediger, die bitte auszufüllen seien. Es sei nämlich wichtig, dass die Gemeinde ganz genau wisse, wer diese neuen Teilnehmer denn seien. Es würden Informationen wie Name, Telefonnummer und Geburtstdatum abgefragt, damit man sie im Falle des Falles auch erreichen könne. Ich vermute die Bankverbindung ist dem Prediger besonders wichtig, aber das spricht er nicht laut aus.

Gleichzeitig mit den Kuverts werden Spenden eingesammelt. Dabei beobachte ichs rechts neben uns einen jungen Familienvater mit zwei Kindern im Kleinkindalter, welcher wahrlich nicht nach philippinischer Oberklasse aussieht, der einen frischgepressten 100-Euroschein in den Spendensack wirft. Pfingstkirchenmitgliedern wird neben übertriebener Freundlichkeit offenbar auch ein großes finanzielles Engagement für die Gemeinde abverlangt. An der Wand hängt ein Spendenthermometer auf dem eine Skala abgebildet ist:

  • 10.000 €
  • 25.000 €
  • 50.000 €
  • 100.000 €
  • 150.000 €
  • 200.000 € - Victory Goal
  • 250.000 €
  • 300.000 € - Challenge Goal
  • 350.000 €
  • 400.000 € - Miracle Goal

Momentan sind laut Skala 100.000 € erreicht - wofür da gesammelt wird ist aber nicht ersichtlich. Jedenfalls erscheint mir die Summe in Relation zu der vergleichsweise kleinen Gemeinde des Vienna Christian Center sehr hoch - was meinen vorhergehenden Verdacht wohl bestätigen dürfte.

Dann beginnt das Programm des heutigen Services, und wie sich herausstellt ist nicht der Prediger der Star des selbigen, stattdessen werden die Kinder der Sunday School gefeiert, die demnächst in eine höhere Klasse aufsteigen dürfen. Nach ein paar putzigen Aufführungen einiger Lieder durch eben diese Kinder werden für jede Klasse die Awards

  • most friendly student
  • most helpful student
  • most cooperative student
  • most creative student
  • best behaved student
  • best in memory words
  • perfect attendance

vergeben.

Als ein schätzungsweise fünfjähriger Gewinner des Awards best in memory words sein Können durch Aufsagen der Bücher der Bibel unter Beweis stellen soll, kommt es beinahe zum Eklat, da er sich standhaft weigert diesem Befehl nachzukommen. Es dauert Minuten und bedarf der mentalen Unterstützung der Mutter sowie zahlreicher Klassenkameraden, bis er schließlich widerwillig die Worte ins Mikrofon stammelt. Die Pfingstianer und Pfingstianerinnen sind entzückt.

Mittlerweile ist über eine Stunde vergangen, noch dazu bin ich für ein weltliches Pokerturnier angemeldet, deswegen pirschen wir still und heimlich in Richtung Ausgang. An diesem haben sich die Greeterinnen angeführt von God’s Watchman postiert, vermutlich um vorzeitig entschwindende Anhänger zu einem weiteren Verweilen überreden zu können. Uns lässt man aber ungestraft passieren, die diensthabende Greeterin entschuldigt sich sogar dafür, dass bis jetzt nur die Awards Ceremonies stattgefunden haben, es folge aber noch ein Service danach.

So verlassen wir das Vienna Christian Center flotten Schrittes, sind sogar ein wenig enttäuscht dass man nicht einmal den Versuch einer Gehirnwäsche bei uns unternommen hat. Als wir an der Straßbahnstation warten trägt der kalte Westwind ein paar Klänge von Musik aus der Kirche an unsere Ohren. Ich lausche, und aus irgendeinem Grund bekomme ich eine kleine Melodie nicht mehr aus dem Kopf: nah-nah-nah-nanah nahna leader, leader!

One Response to “Insekten”

  1. majus Says:

    super bericht, gez in hochform! wer nicht selber hingehen kann, oder will dem sei hier der “LIVE broadcast from JesusZentrum service” ans herz gelegt (Samstag 18 Uhr): http://www.viennachristiancenter.at/download.do?ug=Administrator&f=live.ram

    ps: uff, das war ja eine richtige anstrengung mit dem registrieren ;)